Guðnis Wahl III: Überparteiliches Amtsverständnis und Verfassungsreform

Am 25. Juni wurde Guðni Th. Jóhannesson zum neuen Präsidenten von Island gewählt – welches Amtsverständnis hat der Historiker und wie steht er zu den Forderungen nach einer Verfassungsreform? Teil 3 meiner Artikelserie zur isländischen Präsidentschaftswahl.

In Abgrenzung zum bisweilen politisch-polemisch agierenden Grímsson möchte Jóhannesson das Präsidentenamt möglichst wieder rein repräsentativ und über dem tagespolitischen Parteienstreit stehend ausfüllen. Der Präsident soll seiner Meinung nach idealtypischer Weise parteilos sein, die nationale Einheit verkörpern und im akuten Bedarfsfall politische Lösungen schwieriger Problemstellungen als strikt überparteilicher und neutraler Akteur moderieren helfen. Das würde in großen Teilen an die Verfassungspraxis vor 1996 anknüpfen, also bevor Grímsson die Präsidentschaft übernahm, und eine Rolle analog moderner europäischer konstitutioneller Monarch*innen bedeuten.

Gleichzeitig wirbt der politische Quereinsteiger Jóhannesson eindringlich für eine Verfassungsreform, um den Bürger*innen endlich mehr plebiszitäre Rechte in Form fakultativer Referenden u. Ä. einzuräumen. Das sah der Verfassungsentwurf vom 29. Juli 2011[1] vor, der in einem deliberativen Prozess beispiellos breiter und neuartiger zivilgesellschaftlicher Beteiligung entstand, letztlich dann aber doch am Parlament und den alten Eliten vorerst scheiterte[2].

Bislang liegt die Entscheidung darüber, ob das Wahlvolk über höchst kontroverse Gesetze selbst abstimmen darf, allein beim Präsidenten bzw. bei der Präsidentin, was stets eine politische Gratwanderung darstellt. Nur, wenn sie bzw. er bei einem Gesetz ein Veto nach Artikel 26 der isländischen Verfassung[3] einlegt, kann ein bindendes Referendum stattfinden. Dieses bisher einzige Korrektiv der parlamentarischen Entscheidungen möchte Jóhannesson nur in absoluten Ausnahmefällen anwenden, wenn »er den Eindruck hat, dass es nicht der Wille des Volkes ist«[4].

Von der Möglichkeit eines Referendums nach Art. 26 machte bisher nur Grímsson Gebrauch und das gleich drei Mal: 2004 beim Mediengesetz, das die Regierung daraufhin zurückzog, und 2010 und 2011 bei den Gesetzen über die Entschädigung der »Icesave«-Anleger*innen. Stets waren es höchst umstrittene Gesetze; jedes Mal gab es eine deutliche Mehrheit gegen das Gesetz. Grímsson konnte sich mit seinem Ruf nach mehr Volksabstimmungen ohne großen Aufwand als Stimme des Volkes inszenieren. Bis heute genießt er eine vergleichsweise hohe Popularität[5]. Aber in jedem Fall setzte er sich auch – nicht nur bei der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit – der politischen und juristischen Kritik und dem harten Widerstreit der Meinungen aus. Bisweilen agierte er widersprüchlich. Vor allem beim Mediengesetz sah er sich mit Vorwürfen konfrontiert, nicht frei von persönlichen Interessen gewesen zu sein, womit er sich jedoch innerhalb der isländischen Politik- und Wirtschaftseliten mit ihren Seilschaften in allerbester Gesellschaft befand.

Im Zuge seiner Präsidentschaftskandidatur fasste Jóhannesson seine grundlegende politische Haltung zur Rolle des Präsidenten und damit auch sein eigenes Amtsverständnis auf seiner persönlichen Website wie folgt zusammen[6]:

A president should be firm when needed. He or she has to be able to bring about solutions in difficult disputes and ensure that the nation always has the final say in the largest issues affecting it. The president should also stand outside of debates in society. The nation should never feel that the president is in league with one cause against another.

The president is the nation’s advocate abroad, our face in the eyes of the world. The president should support our culture and arts, industry and business. While promoting Iceland the president should be proud but humble, bold without arrogance.

As was the initial objective when Iceland became a republic in 1944, the president should be a symbol of unity, as the only representative chosen by the entire electorate in a direct election. Previous presidents have helped shape the office but always within the frame of laws and traditions. The next president should follow this example, learn from the experience of what has been done well and what was not. First and foremost, the president should be independent, follow his or her own conscience and serve the nation indiscriminately.

Der isländische Präsident hat kaum politische Macht, dafür aber umso mehr symbolische Strahlkraft durch die Macht des Wortes. Ebenso soll er durch moralische Integrität eine Orientierung bieten und den Regierenden als Stimme eines abstrakten Gemeinwohls ins Gewissen reden. Das jedenfalls wünschen sich viele Isländer*innen von ihrem Staatsoberhaupt; das erhoffen sie sich von Guðni Th. Jóhannesson. Ob er all die Hoffnungen bei gegebenen Rahmenbedingungen und bei mitunter volatilen und uneindeutigen Wählerentscheidungen wird erfüllen können, bleibt abzuwarten. Zaubern kann auch er nicht.

 

Endnoten

[1] Vgl. A Proposal for a new Constitution for the Republic of Iceland (2011). Drafted by Stjórnlagaráð, a Constitutional Council, appointed by an Althingi resolution on March 24th 2011. [onl. im Int.] Reykjavík [Website d. Reg.] [Abruf: 05.07.2016]. Informationen zum 2011 eingesetzten Verfassungsrat (»Stjórnlagaráð«), seiner Arbeit und Vorgeschichte gibt es auf dessen offizieller Website, Stjórnlagaráð (2011): The Constitutional Council – General Information. [onl. im Int.] Reykjavík: [Alþingi] [Abruf: 05.07.2016].

[2] Zum Verfassungsgebungsexperiment vgl. Sven Jochem (2014): Habermas on Ice. Deliberative Verfassungsexperimente, demokratischer Nepotismus und Parteienwettbewerb in Island. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Bd. 45, Nr. 3, S. 632–646; Thorvaldur Gylfason (2014): Constitution on Ice. [onl. im Int.] München: CESifo-Gruppe (= CESifo Working Paper Nr. 5056), Nov. 2014 [Abruf: 04.07.2016]; Maximilian Steinbeis (2011): Demokratie-Experiment. Islands Traum von einer Verfassung des Volkes. [onl. im Int.] In: Die Welt, 18.08.2011 [Abruf: 05.07.2016]; Maximilian Steinbeis (2013): Islands Verfassungsexperiment ist so gut wie gescheitert. [onl. im Int.] In: Verfassungsblog, 29.03.2013 [Abruf: 05.07.2016].

[3] Vgl. das isl. Orig., Stjórnarskrá lýðveldisins Íslands (1944). Gesetz Nr. 33 v. 17.06.1944 i. d. F. v. 18.07.2013. [onl. im Int.] Reykjavík: Alþingi [Abruf: 05.07.2016]; bzw. die nicht mehr aktuelle engl. Übers., Constitution of the Republic of Iceland (1944). Gesetz Nr. 33 v. 17.06.1944 i. d. F. v. 24.06.1999. [onl. im Int.] Reykjavík: [Reg. v. Island] [Abruf: 05.07.2016].

[4] Zit. nach Jessica Sturmberg (2016): Turbulenzen um Panama-Papers beeinflussen Wahl. [onl. im Int.] In: Deutschlandfunk, 07.06.2016 [Abruf: 24.10.2016].

[5] Zwischen 2008 und 2016 gab es nur in den aufgewühlten Jahres 2009/10 eine klare Mehrheit, die mit seiner Arbeit unzufrieden waren. Ansonsten erreichte er gute Zustimmungswerte um 50 % oder mehr. Vgl. dazu die Umfrageergebnisse zur Zufriedenheit mit isländischen Politiker*innen, mmr (2016a): 10% landsmanna bera mikið traust til Sigmundar Davíðs. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 06.04.2016 [Abruf: 24.10.2016]. Vgl. ebenso die Umfrage beim Ausscheiden aus dem Präsidentenamt, mmr (2016f): Ólafur Ragnar Grímsson endar á toppnum. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 02.08.2016 [Abruf: 24.10.2016].

[6] Dort unter dem Reiter »Main Policy« [Abruf: 03.08.2016]. Diese Positionierung ist mit seiner Paraphe versehen und eine Art Wahlversprechen. Mittlerweile ist diese Webseite nicht mehr erreichbar, vgl. Anm. 10 in Teil 1.

Stand: 24.10.2016

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