Geldmacht vs. Demokratie: Ist die EZB eine Art »Staat im Staat« zum Wohle des Finanzsektors?

Unter dem Titel »Geldmacht vs. Demokratie« habe ich auf dem diesjährigen »Momentum«-Kongress im idyllisch gelegenen österreichischen Hallstatt das erste Forschungspapier aus meinem Dissertationsprojekt präsentiert. Aus der Diskussion mit den beiden Professor*innen, den Nachwuchsforscher*innen und politischen Aktivist*innen nehme ich viele gewinnbringende Anregungen mit. Dass ich mit dem Thema offenbar einen Nerv traf, der sogar jenseits meines Tracks für jede Menge Gesprächsstoff sorgte, war nicht das erste Mal. Das motiviert ungemein, das Forschungsfeld weiter zu bearbeiten und auch öffentlich zu debattieren. Dieser Blog-Beitrag startet daher eine neue Artikelserie zum Fallbeispiel der EZB als inoffizieller Vierter Staatsgewalt.

Problemaufriss und Relevanz

Die gefestigten modernen Staaten des »Westens« sind stolz darauf zu betonen, dass bei ihnen »alle Staatsgewalt« direkt oder indirekt legitimiert »vom Volke« ausgehe1. Politische Systeme, in denen dieser Leitgedanke faktisch und rechtsstaatlich verwirklicht ist, gelten der herrschenden Lehre zufolge als demokratisch, wobei die Qualität von »Demokratie« freilich von ihrer konkreten verfassungsrechtlich-institutionellen Ausgestaltung und der gelebten Praxis abhängt2. Dem eingangs erwähnten Leitgedanken zufolge ist die demokratisch legitimierte Politik dem kapitalistischen Wirtschaftssystem übergeordnet. Trotzdem haben uns der globale Finanzmarktcrash von 2007/083 und die sich daran anschließende, nicht selten autoritär-technokratische Krisenbewältigungspolitik »im Notstandsmodus«4 wieder einmal unmissverständlich vor Augen geführt, dass moderner Finanzkapitalismus und Demokratie in einem äußerst brisanten Konfliktverhältnis zueinander stehen. Finanzmarktorientierte kapitalistische Handlungslogiken sind jedenfalls nicht genuin demokratisch, sondern vielfach un- oder gar antidemokratisch5.

»Geld ist Macht« und »Geld regiert die Welt« weiß bekanntermaßen der Volksmund zu urteilen. Und in der Tat muss etwas dran sein, schließlich sinnierten schon antike Denker über das eigenartige Verhältnis von Geld und Macht. Von ihnen kennen wir den Aphorismus »Auro loquente ratio quaevis irrita est«6 – »Wenn Gold spricht, ist jedes Mittel vergeblich«. Auch in der Bibel finden wir den Gedanken in Form des Spruches »und das Geld muss ihnen alles zuwege bringen«7. Die europäische und amerikanische Geschichte ist voller Beispiele, in denen reiche Financiers und »Kreditgeber der letzten Instanz«8 ihre Machtposition gegenüber exekutiven und legislativen Repräsentant*innen politisch ausspielen konnten und das nicht nur in Zeiten tief greifender Wirtschafts- und Finanzkrisen. Mit den Vorwürfen, undemokratisch, intransparent oder zum Wohle ausgewählter Finanzmarktinteressen zu agieren, sieht sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) in jüngster Zeit verstärkt konfrontiert9. Grund genug, die EZB aus demokratietheoretischer Sicht eingehender zu analysieren.

Zielstellung

Vom Niedergang der Demokratie im Allgemeinen oder ihrem Verhältnis zur kapitalistischen Wirtschaftsweise im Besonderen10 wurde und wird in den Staatswissenschaften und vor allem in der Populärpublizistik viel geschrieben. Ebenso ist der Befund einer schleichenden Entdemokratisierung durch die Dominanz privatwirtschaftlicher Interessen nicht neu11. Über die vielfältigen Demokratiedefizite der EU debattieren Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit auch bereits seit ihrer Gründung. Die Zusammenhänge von Finanzregimen12, Demokratie und politischer Gestaltungsmacht bekamen hingegen erst in jüngster Zeit vermehrte Aufmerksamkeit. Hierzu erschienen nicht nur kritische und fundierte Systemanalysen13, sondern auch entsprechende Verbesserungsvorschläge aus sozial bewegten Kreisen14.

Genau diesem hochaktuellen Problemkomplex der Politischen Ökonomie, dem Spannungsverhältnis von Geldwesen, politischer Gestaltungsmacht und Demokratie, widmet sich mein Beitrag. Erkenntnis leitend thematisiere ich dabei folgende zwei zusammenhängende Fragen:

  • Inwieweit kann man das heutige Geld- und Kreditwesen am Beispiel des Europäischen Systems der Zentralbanken15 als »Staat im Staat« oder als Vierte Staatsgewalt begreifen, die sich auf Kosten des Demos16 staatliche Souveränität angeeignet hat und grundlegende exekutive und legislative Funktionen übernimmt?
  • Wie ist die reelle politische Gestaltungsmacht in punkto Verantwortlichkeit, demokratische Repräsentation, Legitimation und Mitbestimmung zu bewerten?

Methodisches Vorgehen

Weil diese beiden Fragen schon aus Platzgründen nicht erschöpfend erörtert werden können, beschränke ich mich auf eine analytische Darstellung und Argumentation in groben Zügen, welche die Rolle des Geldsystems sowie der Geschäftsbanken und anderen Akteure des Finanzregimes erst einmal außen vor lässt. Dazu ist zweigeteilt vorzugehen.

In einem ersten Teil analysiere ich strukturelle Aspekte der Zentralbankautonomie im Hinblick auf Theorie und Praxis. Hier geht es einerseits um die Dekonstruktion des bisweilen in religiös anmutendener Weise verteidigten Grundsatzes der »Unabhängigkeit« von Zentralbanken. Andererseits geht es darum, die konkrete Ausprägung bei der EZB darzustellen sowie anzudeuten, wie strukturell vielfältig das Zentralbankwesen im internationalen Vergleich ist.

Anhand von drei bedeutsamen geldpolitischen Fallbeispielen der Zeitgeschichte diskutiere ich im zweiten Teil Aspekte der funktionellen Ausprägung der Zentralbankautonomie.

Endnoten

1 Vgl. beispielsweise Art. 20 (2) Grundgesetz.

2 Ein weit verbreiteter Vorschlag zur Messung von Demokratiequalität stammt von Lijphart (1999), der aber in sozioökonomischer Hinsicht nicht überzeugen kann. Einen beileibe nicht erschöpfenden Eindruck von der Vielfalt politikwissenschaftlicher Demokratietheorien vermittelt z. B. Schmidt (2010).

3 Eine gute »kritisch-heterodoxe« Analyse mit sozial reflektierten Lösungsideen bietet Peukert (2013; 2015).

4 Rödl (2012). Zur De-facto-Herrschaft ungewählter Akteure und informeller Gremien vgl. außerdem Vogl (2016).

5 »Kapitalismus ist nicht demokratisch und Demokratie nicht kapitalistisch«, so Kocka/Merkel (2015).

6 Adagia 3,3,16. Es sind auch leicht abgewandelte Varianten gebräuchlich. Die »Adagia« ist eine kommentierte Sprichwortsammlung des niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam.

7 Altes Testament, Prediger Salomo, 10,19.

8 Zur Doktrin vom »lender of last resort« vgl. Tropeano (2015); Bank for International Settlements (Hrsg.) (2014).

9 Jenseits der Wissenschaft finden sich dazu regelmäßig Anlässe und Beiträge in den Medien, wobei die Stoßrichtung der Kritik von der jeweiligen politischen Perspektive abhängig ist.

10 Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft in historischer Perspektive vgl. Ferguson (2003).

11 Vgl. z. B. Engartner (2017); Fisahn (2010; 2016); Trabold (2014); Streeck (2013); Wood (2016 [1995]).

12 »Regime« meint hier den neutralen Analysebegriff der Sozialwissenschaften.

13 Vgl. z. B. Vogl (2015); Schreyer (2016); Jackson/Dyson (2012); Häring (2010), S. 11ff. Im Rahmen meiner Promotion beschäftige ich mich ebenfalls mit ausgewählten Aspekten.

14 Am radikalsten, weil am umfassendsten, ist wohl die »demokratische Geldordnung« nach Felber (2014). In diesem Kontext zu nennen sind ferner die beispielsweise von Jackson/Dyson (2012) verbreiteten Ideen von »Positive Money«, dem forschungsstarken britischen Partnernetzwerk des »International Movement for Monetary Reform«, das die Verstaatlichung der »Geldschöpfung« fordert.

15 An der Spitze des ESZB steht die EZB.

16 Als politisch-rechtlicher Begriff bezeichnet »Demos« das demokratische Legitimation stiftende Wahlvolk.

 

Fortlaufende Überarbeitung, Stand: 10.05.2018

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