Am 25. Juni wurde Guðni Th. Jóhannesson zum neuen Präsidenten von Island gewählt. Der erste Teil meiner Artikelserie zur isländischen Präsidentschaftswahl bereitet das Wahlergebnis auf und wertet die statistischen Daten im Lichte der Umfragen aus. Eine biografische Gegenüberstellung des gewählten und des noch amtierenden Präsidenten runden diesen Aufsatzteil ab.
Wahlergebnis
Bei der Wahl am 25. Juni bekam der Geschichtsprofessor Guðni Th. Jóhannesson 39,1 % der Stimmen und verwies Halla Tómasdóttir, eine Unternehmerin und Finanzinvestorin, die bei ihren geschäftlichen Entscheidungen nach eigenen Angaben auf nachhaltige Produkte und »weibliche« Wertvorstellungen setzt, mit 27,9 % auf den zweiten Platz. Drittplatzierter wurde mit 14,3 % der Stimmen der gesellschaftskritische Schriftsteller und Umweltaktivist Andri Snær Magnason. Der frühere konservative Premierminister von der »Unabhängigkeitspartei« (»Sjálfstæðisflokkurinn«), Zentralbankchef und jetzige Chefredakteur des »Morgunblaðið« Davíð Oddsson erzielte mit 13,7 % Platz vier. Alle anderen der insgesamt neun Kandidat*innen, die zur Wahl angetreten waren, blieben wie in den Umfragen zuvor völlig chancenlos und landeten abgeschlagen im unteren einstelligen Bereich. Zusammen vereinten sie nur 5 % der Stimmen auf sich. Die Wahlbeteiligung lag bei 75,7 %.[1]
Da sich die Auszählung der letzten Stimmzettel hinzog, stand das endgültige Wahlergebnis erst am frühen 26. Juni fest. Insoweit bescherte ihre Verkündung dem Wahlsieger eine ganz besondere Freude, war das doch zufälligerweise sein 48. Geburtstag. Nach einer feierlichen Zeremonie, die traditionell am 1. August im Parlamentsgebäude stattfindenden wird, wird Jóhannesson[2] dann den offiziellen Amtssitz des Präsidenten »Bessastaðir«[3] nahe der Hauptstadt Reykjavík beziehen. Somit folgt er Ólafur Ragnar Grímsson, dem mit fünf Legislaturperioden und insgesamt 20 Jahren (1996–2016) bisher am längsten amtierenden Präsidenten von Island[4]. Gleichzeitig wird er der erste Präsident, der nach der endgültigen Lossagung Islands von Dänemark[5] geboren wurde.
Wahlergebnis versus Umfragen
Der Sieg des parteilosen Jóhannesson galt sämtlichen vorherigen Umfragen zufolge als ungefährdet und daher wenig überraschend. Dass jetzt bloß 40 % der Stimmen auf den Politneuling entfielen, ist dabei weniger bedeutsam. Überraschend erscheint vielmehr die im Vergleich zu den letzten Umfragen noch sehr starke Aufholjagd von Tómasdóttir in den letzten Tagen und Stunden. Überhaupt kannten ihre Umfragewerte nur einen Weg und der führte stetig nach oben. Noch vor fünf Wochen kam Tómasdóttir abgeschlagen nur auf Umfragewerte um 2 bis 3 %. Ebenso auffällig ist, dass die Wähler*innen den Politveteranen Oddsson deutlicher als lange vorhergesagt deklassierten. Der Wahlausgang mag außenstehende Beobachter*innen auf den ersten Blick zwar ein wenig verwundern. Bei näherem Hinsehen ist er aber gut erklärbar.[6]
Ungeachtet aller tagesaktuellen Momentaufnahmen war nämlich die Tendenz zu unverbrauchten, integer wirkenden Persönlichkeiten jenseits des politischen Establishments stets klar erkennbar. So sahen alle repräsentativen Umfragen Jóhannesson nahezu uneinholbar vorne. Er führte mit teilweise über 45 Prozentpunkten Vorsprung auf den lange Zeit Zweitplatzierten Oddsson, kam auf Umfragewerte zwischen 50 und 65 %. Erst in den letzten drei Umfragen, die ein bzw. zwei Tage vor der Wahl veröffentlicht wurden, landete er mit einer Prognose um die 45 % unter der symbolträchtigen 50-%-Marke, während Tómasdóttir, vor Oddsson liegend, ihren Rückstand auf 26 bzw. 29 Prozentpunkte verkürzen konnte mit Umfragewerten zwischen 16 und 20 %.[7]
Der enorme Aufwind von Halla Tómasdóttir unmittelbar vor dem Wahltag legt die kontrafaktische Frage nahe, ob eine Stichwahl zwischen ihr und Jóhannesson einen anderen Ausgang genommen hätte. Für den Fall, dass der Wahlsieger eine absolute Mehrheit verfehlt, sieht die Verfassung zwar keine Stichwahl der beiden Bestplatzierten vor. Denn der Verfassung zufolge genügt die relative Mehrheit. Trotzdem wollte das Meinungsforschungsinstitut »Market and media research« (MMR) im unmittelbaren Nachgang der Wahl diese Frage per Umfrage[8] beantwortet wissen. Die Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass Jóhannesson mit 52,1 % dennoch gewonnen hätte. Interessant ist dabei die Auswertung der parteipolitischen Präferenzen. Unter den Anhänger*innen der wirtschaftsliberalen Mitte-Rechts-Regierung hätte die Unternehmerin auf 66 bis 76 % Unterstützung bauen können. Demgegenüber hätten für Jóhannesson 60 bis 76 % der Anhänger*innen der vier Oppositionsparteien votiert. Das entspricht – trotz anderer Verteilung auf die einzelnen Parteien – in etwa demselben Ergebnis einer Umfrage desselben Instituts vom 2. Juni[9].
Jóhannesson und Grímsson im Kurzporträt
Wer ist dieser Senkrechtstarter? 1968 in Reykjavík geboren, verheiratet mit einer Kanadierin und Vater von fünf Kindern, arbeitet Guðni Th[orlacius] Jóhannesson als Professor für moderne isländische Geschichte an der Universität von Island (Háskóli Íslands), der ältesten universitären Einrichtung des Landes. Er lehrte und forschte ferner an der privaten Universität Reykjavík (Háskólinn í Reykjavík), der Universität Bifröst (Háskólinn á Bifröst) und an der University of London. Zu seinen thematischen Forschungsschwerpunkten gehören die so genannten isländisch-britischen »Kabeljaukriege« (»þorskastríðin«), die jüngste Finanzsystemkrise (oder kurz und knapp »hrunið« – »der Crash«, nach dem Titel von Jóhannessons voluminöser Monografie aus dem Jahr 2009) und die Geschichte der isländischen Präsidentschaft. Hierzu verfasste er mehrere einschlägige Werke. Aufgrund seines beruflichen und familiären Hintergrundes und weil er mehrere Sprachen beherrscht, ist Jóhannesson als weltoffen einzuschätzen.[10]
Ebenso wie Jóhannesson zählte auch der 1943 geborene Ólafur Ragnar Grímsson bei seiner Wahl zu den ausgewiesenen nationalen Wissenschaftler*innen. So war er es, der seit 1973 als erster isländischer Professor das Fach Politikwissenschaft in Lehre und Forschung an der Universität von Island in Reykjavík vertrat und es damit maßgeblich in der Hochschullandschaft des Inselstaates verankerte. Einige einschlägige Veröffentlichungen zum politischen System seiner isländischen Heimat entstammen seiner Feder. In deutlichem Gegensatz zu Jóhannesson galt Grímsson allerdings bei seinem Amtsantritt als prominenter Vertreter der etablierten Machteliten des Landes. So konnte er schon im Jahr 1996 auf eine beachtliche 30-jährige politische Schaffensperiode zurückblicken. Mittlerweile sind es stolze 50 Jahre Politikerkarriere. Anfangs im agrarisch-liberalen, später im links-liberalen Spektrum unterwegs, war er u. a. Parlamentarier, Finanzminister und Vorsitzender der in den Wahlen vergleichsweise starken »Volksallianz« (»Alþýðubandalag« – AL), die der sozialistischen Parteienfamilie zuzurechnen ist.[11]
Während der scheidende Präsident Grímsson sein Amt gelegentlich parteiisch ausübte, insbesondere, indem er drei Mal von seinem Vetorecht Gebrauch machte, setzt Jóhannesson wieder stärker auf ein rein repräsentatives und unparteiisches Rollenverständnis. Dafür fordert er aber auch beharrlich mehr Basisdemokratie ein, damit die Wähler*innen z. B. selbst Referenden über tagespolitische Fragen initiieren können. Die regierenden Mitte-Rechts-Parteien sind davon nicht begeistert, die Opposition dafür umso mehr.[12]
Endnoten
[1] Einschlägige Quelle zu den Präsidentschaftswahlen ist das Webangebot des staatlichen Rundfunks RÚV [»Ríkisútvarpið«]. Eine wahlstatistische Auswertung mit historischen Vergleichen bietet der von Bogi Ágústsson moderierte, knapp vierminütige TV-Beitrag, verlinkt bei Bjarni Pétur Jónsson (2016): Bogi rýnir í úrslit kosninganna. [onl. im Int.] In: RÚV, 26.06.2016, 12:30 [Abruf: 24.10.2016]. Das Wahlergebnis für alle sechs Wahlkreise gibt es grafisch aufbereitet bei Alma Ómarsdóttir (2016): Lokatölur úr öllum kjördæmum. [onl. im Int.] In: RÚV, 26.06.2016, 09:09 [Abruf: 24.10.2016]. Die Online-Berichterstattung zur Wahl befindet sich im Schlagwort-Archiv, RÚV (2016a): Forsetakosningar 2016. Unter eben diesem Titel gab es für einige Monate (letzte Prüfung: 03.08.2016) zudem eine eigene Webseite mit vier Rubriken, die mittlerweile aber mit den Reitern »Forsíða« (grafisch aufbereitete wahlstatistische Daten) und »Fréttir« (Nachrichten) ins Leere führt. Lediglich die Unterseiten »Kannanir«, RÚV (2016b), die alle Umfrageergebnisse darstellt, und »Frambjóðendur«, die Kurzdarstellungen und Umfrageergebnisse zu den einzelnen Kandidat*innen bietet, sind noch erreichbar (Stand: 24.10.2016).
[2] Unabhängig von den isländischen Namenskonventionen werden im Folgenden Jóhannesson usw. wie Nachnamen behandelt.
[3] Vgl. Office of the President of Iceland (2016a): Bessastaðir, the Presidential Residence. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[4] Vgl. Office of the President of Iceland (2016b): Former Presidents. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[5] Nach einem Verfassungsreferendum wurde die demokratische Republik Island am 17. Juni 1944 ausgerufen.
[6] Gelegentlich wurde in den Medien darüber spekuliert, welchen Einfluss die zeitgleich stattfindende Fußball-EM mit dem überraschend starken Auftreten der isländischen Nationalmannschaft auf das Wahlergebnis haben könnte. Etwa 10 % der Wahlberechtigten sollen sich am Wahltag in Frankreich aufgehalten haben und es sei unklar, inwieweit sie ihre Stimme abgaben. Vgl. Helmut Steuer (2016): So will Island sein verlorenes Jahrzehnt vergessen. [onl. im Int.] In: Die Welt, 25.06.2016 [Abruf: 24.10.2016]. Da die Wahlbeteiligung trotz der Fußball-Euphorie höher lag als bei den letzten Wahlen und zudem das Wahlergebnis dem Umfragetrend entspricht, ist die Frage nach einem etwaigen Einfluss klar zu verneinen.
[7] Vgl. die relevanten 21 Umfragen vom 27. April bis zum 24. Juni. Sie sind grafisch aufbereitet und übersichtlich dargestellt beim RÚV (2016b): Forsetakosningar 2016 – Kannanir. [onl. im Int.; Webseite] Reykjavík: RÚV [Abruf: 24.10.2016].
[8] Vgl. mmr (2016d): Guðni 52% - Halla 48%. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 08.07.2016 [Abruf: 24.10.2016].
[9] Vgl. mmr (2016c): Breytingar á stuðningi við forsetaframbjóðendur. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 02.06.2016 [Abruf: 24.10.2016].
[10] Vgl. [onl. im Int.] die persönliche Website Jóhannessons und dort das Dokument »Curriculum Vitae«. Mittlerweile (zwischen 17.10. und 24.10.2016) wurden Inhalt und Gestaltung der Website aus Wahlkampfzeiten komplett geändert und womöglich eine überarbeitete frühere Version online geschaltet. Vgl. ferner die offizielle Kurzbiografie, Office of the President of Iceland (2016c): Guðni Th. Jóhannesson. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[11] Vgl. z. B. die offizielle Kurzbiografie, Office of the President of Iceland (2016d): Ólafur Ragnar Grímsson. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[12] Vgl. dazu Teil 3.
Stand: 24.10.2016
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Erstellt am 29. Juni 2016 von Enrico Schicketanz
Statistisches zur Wahl von Guðni Th. Jóhannesson
Am 25. Juni wurde Guðni Th. Jóhannesson zum neuen Präsidenten von Island gewählt. Der erste Teil meiner Artikelserie zur isländischen Präsidentschaftswahl bereitet das Wahlergebnis auf und wertet die statistischen Daten im Lichte der Umfragen aus. Eine biografische Gegenüberstellung des gewählten und des noch amtierenden Präsidenten runden diesen Aufsatzteil ab.
Wahlergebnis
Bei der Wahl am 25. Juni bekam der Geschichtsprofessor Guðni Th. Jóhannesson 39,1 % der Stimmen und verwies Halla Tómasdóttir, eine Unternehmerin und Finanzinvestorin, die bei ihren geschäftlichen Entscheidungen nach eigenen Angaben auf nachhaltige Produkte und »weibliche« Wertvorstellungen setzt, mit 27,9 % auf den zweiten Platz. Drittplatzierter wurde mit 14,3 % der Stimmen der gesellschaftskritische Schriftsteller und Umweltaktivist Andri Snær Magnason. Der frühere konservative Premierminister von der »Unabhängigkeitspartei« (»Sjálfstæðisflokkurinn«), Zentralbankchef und jetzige Chefredakteur des »Morgunblaðið« Davíð Oddsson erzielte mit 13,7 % Platz vier. Alle anderen der insgesamt neun Kandidat*innen, die zur Wahl angetreten waren, blieben wie in den Umfragen zuvor völlig chancenlos und landeten abgeschlagen im unteren einstelligen Bereich. Zusammen vereinten sie nur 5 % der Stimmen auf sich. Die Wahlbeteiligung lag bei 75,7 %.[1]
Da sich die Auszählung der letzten Stimmzettel hinzog, stand das endgültige Wahlergebnis erst am frühen 26. Juni fest. Insoweit bescherte ihre Verkündung dem Wahlsieger eine ganz besondere Freude, war das doch zufälligerweise sein 48. Geburtstag. Nach einer feierlichen Zeremonie, die traditionell am 1. August im Parlamentsgebäude stattfindenden wird, wird Jóhannesson[2] dann den offiziellen Amtssitz des Präsidenten »Bessastaðir«[3] nahe der Hauptstadt Reykjavík beziehen. Somit folgt er Ólafur Ragnar Grímsson, dem mit fünf Legislaturperioden und insgesamt 20 Jahren (1996–2016) bisher am längsten amtierenden Präsidenten von Island[4]. Gleichzeitig wird er der erste Präsident, der nach der endgültigen Lossagung Islands von Dänemark[5] geboren wurde.
Wahlergebnis versus Umfragen
Der Sieg des parteilosen Jóhannesson galt sämtlichen vorherigen Umfragen zufolge als ungefährdet und daher wenig überraschend. Dass jetzt bloß 40 % der Stimmen auf den Politneuling entfielen, ist dabei weniger bedeutsam. Überraschend erscheint vielmehr die im Vergleich zu den letzten Umfragen noch sehr starke Aufholjagd von Tómasdóttir in den letzten Tagen und Stunden. Überhaupt kannten ihre Umfragewerte nur einen Weg und der führte stetig nach oben. Noch vor fünf Wochen kam Tómasdóttir abgeschlagen nur auf Umfragewerte um 2 bis 3 %. Ebenso auffällig ist, dass die Wähler*innen den Politveteranen Oddsson deutlicher als lange vorhergesagt deklassierten. Der Wahlausgang mag außenstehende Beobachter*innen auf den ersten Blick zwar ein wenig verwundern. Bei näherem Hinsehen ist er aber gut erklärbar.[6]
Ungeachtet aller tagesaktuellen Momentaufnahmen war nämlich die Tendenz zu unverbrauchten, integer wirkenden Persönlichkeiten jenseits des politischen Establishments stets klar erkennbar. So sahen alle repräsentativen Umfragen Jóhannesson nahezu uneinholbar vorne. Er führte mit teilweise über 45 Prozentpunkten Vorsprung auf den lange Zeit Zweitplatzierten Oddsson, kam auf Umfragewerte zwischen 50 und 65 %. Erst in den letzten drei Umfragen, die ein bzw. zwei Tage vor der Wahl veröffentlicht wurden, landete er mit einer Prognose um die 45 % unter der symbolträchtigen 50-%-Marke, während Tómasdóttir, vor Oddsson liegend, ihren Rückstand auf 26 bzw. 29 Prozentpunkte verkürzen konnte mit Umfragewerten zwischen 16 und 20 %.[7]
Der enorme Aufwind von Halla Tómasdóttir unmittelbar vor dem Wahltag legt die kontrafaktische Frage nahe, ob eine Stichwahl zwischen ihr und Jóhannesson einen anderen Ausgang genommen hätte. Für den Fall, dass der Wahlsieger eine absolute Mehrheit verfehlt, sieht die Verfassung zwar keine Stichwahl der beiden Bestplatzierten vor. Denn der Verfassung zufolge genügt die relative Mehrheit. Trotzdem wollte das Meinungsforschungsinstitut »Market and media research« (MMR) im unmittelbaren Nachgang der Wahl diese Frage per Umfrage[8] beantwortet wissen. Die Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass Jóhannesson mit 52,1 % dennoch gewonnen hätte. Interessant ist dabei die Auswertung der parteipolitischen Präferenzen. Unter den Anhänger*innen der wirtschaftsliberalen Mitte-Rechts-Regierung hätte die Unternehmerin auf 66 bis 76 % Unterstützung bauen können. Demgegenüber hätten für Jóhannesson 60 bis 76 % der Anhänger*innen der vier Oppositionsparteien votiert. Das entspricht – trotz anderer Verteilung auf die einzelnen Parteien – in etwa demselben Ergebnis einer Umfrage desselben Instituts vom 2. Juni[9].
Jóhannesson und Grímsson im Kurzporträt
Wer ist dieser Senkrechtstarter? 1968 in Reykjavík geboren, verheiratet mit einer Kanadierin und Vater von fünf Kindern, arbeitet Guðni Th[orlacius] Jóhannesson als Professor für moderne isländische Geschichte an der Universität von Island (Háskóli Íslands), der ältesten universitären Einrichtung des Landes. Er lehrte und forschte ferner an der privaten Universität Reykjavík (Háskólinn í Reykjavík), der Universität Bifröst (Háskólinn á Bifröst) und an der University of London. Zu seinen thematischen Forschungsschwerpunkten gehören die so genannten isländisch-britischen »Kabeljaukriege« (»þorskastríðin«), die jüngste Finanzsystemkrise (oder kurz und knapp »hrunið« – »der Crash«, nach dem Titel von Jóhannessons voluminöser Monografie aus dem Jahr 2009) und die Geschichte der isländischen Präsidentschaft. Hierzu verfasste er mehrere einschlägige Werke. Aufgrund seines beruflichen und familiären Hintergrundes und weil er mehrere Sprachen beherrscht, ist Jóhannesson als weltoffen einzuschätzen.[10]
Ebenso wie Jóhannesson zählte auch der 1943 geborene Ólafur Ragnar Grímsson bei seiner Wahl zu den ausgewiesenen nationalen Wissenschaftler*innen. So war er es, der seit 1973 als erster isländischer Professor das Fach Politikwissenschaft in Lehre und Forschung an der Universität von Island in Reykjavík vertrat und es damit maßgeblich in der Hochschullandschaft des Inselstaates verankerte. Einige einschlägige Veröffentlichungen zum politischen System seiner isländischen Heimat entstammen seiner Feder. In deutlichem Gegensatz zu Jóhannesson galt Grímsson allerdings bei seinem Amtsantritt als prominenter Vertreter der etablierten Machteliten des Landes. So konnte er schon im Jahr 1996 auf eine beachtliche 30-jährige politische Schaffensperiode zurückblicken. Mittlerweile sind es stolze 50 Jahre Politikerkarriere. Anfangs im agrarisch-liberalen, später im links-liberalen Spektrum unterwegs, war er u. a. Parlamentarier, Finanzminister und Vorsitzender der in den Wahlen vergleichsweise starken »Volksallianz« (»Alþýðubandalag« – AL), die der sozialistischen Parteienfamilie zuzurechnen ist.[11]
Während der scheidende Präsident Grímsson sein Amt gelegentlich parteiisch ausübte, insbesondere, indem er drei Mal von seinem Vetorecht Gebrauch machte, setzt Jóhannesson wieder stärker auf ein rein repräsentatives und unparteiisches Rollenverständnis. Dafür fordert er aber auch beharrlich mehr Basisdemokratie ein, damit die Wähler*innen z. B. selbst Referenden über tagespolitische Fragen initiieren können. Die regierenden Mitte-Rechts-Parteien sind davon nicht begeistert, die Opposition dafür umso mehr.[12]
Endnoten
[1] Einschlägige Quelle zu den Präsidentschaftswahlen ist das Webangebot des staatlichen Rundfunks RÚV [»Ríkisútvarpið«]. Eine wahlstatistische Auswertung mit historischen Vergleichen bietet der von Bogi Ágústsson moderierte, knapp vierminütige TV-Beitrag, verlinkt bei Bjarni Pétur Jónsson (2016): Bogi rýnir í úrslit kosninganna. [onl. im Int.] In: RÚV, 26.06.2016, 12:30 [Abruf: 24.10.2016]. Das Wahlergebnis für alle sechs Wahlkreise gibt es grafisch aufbereitet bei Alma Ómarsdóttir (2016): Lokatölur úr öllum kjördæmum. [onl. im Int.] In: RÚV, 26.06.2016, 09:09 [Abruf: 24.10.2016]. Die Online-Berichterstattung zur Wahl befindet sich im Schlagwort-Archiv, RÚV (2016a): Forsetakosningar 2016. Unter eben diesem Titel gab es für einige Monate (letzte Prüfung: 03.08.2016) zudem eine eigene Webseite mit vier Rubriken, die mittlerweile aber mit den Reitern »Forsíða« (grafisch aufbereitete wahlstatistische Daten) und »Fréttir« (Nachrichten) ins Leere führt. Lediglich die Unterseiten »Kannanir«, RÚV (2016b), die alle Umfrageergebnisse darstellt, und »Frambjóðendur«, die Kurzdarstellungen und Umfrageergebnisse zu den einzelnen Kandidat*innen bietet, sind noch erreichbar (Stand: 24.10.2016).
[2] Unabhängig von den isländischen Namenskonventionen werden im Folgenden Jóhannesson usw. wie Nachnamen behandelt.
[3] Vgl. Office of the President of Iceland (2016a): Bessastaðir, the Presidential Residence. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[4] Vgl. Office of the President of Iceland (2016b): Former Presidents. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[5] Nach einem Verfassungsreferendum wurde die demokratische Republik Island am 17. Juni 1944 ausgerufen.
[6] Gelegentlich wurde in den Medien darüber spekuliert, welchen Einfluss die zeitgleich stattfindende Fußball-EM mit dem überraschend starken Auftreten der isländischen Nationalmannschaft auf das Wahlergebnis haben könnte. Etwa 10 % der Wahlberechtigten sollen sich am Wahltag in Frankreich aufgehalten haben und es sei unklar, inwieweit sie ihre Stimme abgaben. Vgl. Helmut Steuer (2016): So will Island sein verlorenes Jahrzehnt vergessen. [onl. im Int.] In: Die Welt, 25.06.2016 [Abruf: 24.10.2016]. Da die Wahlbeteiligung trotz der Fußball-Euphorie höher lag als bei den letzten Wahlen und zudem das Wahlergebnis dem Umfragetrend entspricht, ist die Frage nach einem etwaigen Einfluss klar zu verneinen.
[7] Vgl. die relevanten 21 Umfragen vom 27. April bis zum 24. Juni. Sie sind grafisch aufbereitet und übersichtlich dargestellt beim RÚV (2016b): Forsetakosningar 2016 – Kannanir. [onl. im Int.; Webseite] Reykjavík: RÚV [Abruf: 24.10.2016].
[8] Vgl. mmr (2016d): Guðni 52% - Halla 48%. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 08.07.2016 [Abruf: 24.10.2016].
[9] Vgl. mmr (2016c): Breytingar á stuðningi við forsetaframbjóðendur. [onl. im Int.] Reykjavík: mmr, 02.06.2016 [Abruf: 24.10.2016].
[10] Vgl. [onl. im Int.] die persönliche Website Jóhannessons und dort das Dokument »Curriculum Vitae«. Mittlerweile (zwischen 17.10. und 24.10.2016) wurden Inhalt und Gestaltung der Website aus Wahlkampfzeiten komplett geändert und womöglich eine überarbeitete frühere Version online geschaltet. Vgl. ferner die offizielle Kurzbiografie, Office of the President of Iceland (2016c): Guðni Th. Jóhannesson. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[11] Vgl. z. B. die offizielle Kurzbiografie, Office of the President of Iceland (2016d): Ólafur Ragnar Grímsson. [onl. im Int.] Reykjavík [Abruf: 24.10.2016].
[12] Vgl. dazu Teil 3.
Stand: 24.10.2016
Kategorie: Allgemein Tags: Davíð Oddsson, Guðni Th. Jóhannesson, Island, Macht, Ólafur Ragnar Grímsson, Präsident, Wahl
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